... an der Altarwand von Günther Späth
Die durch das Blut Christi Reingewaschenen stehen vor seinem Thron
Beim Betreten der Kirche fällt einem das eindrückliche Wandgemälde gleich ins Auge. Seit 50 Jahren nun schmückt es die Altarwand in der Erlöserkirche. Seit dieser Zeit scheiden sich die Geister an diesem Bild. Schon kurz nach der Einweihung wurde der Künstler Günther Spät aus Ulm geholt, um dem Kirchenvorstand sein Werk zu erläutern.
Bei späteren Renovierungsarbeiten entbrannte wieder eine Diskussion über das Bild. In den vergangenen 50 Jahren aber haben sich viele Menschen mit diesem Kunstwerk auseinandergesetzt, ihre eigenen Erfahrungen gemacht und eigene Eindrücke gewonnen.
Auf diese Weise wurde dieses Bild, so umstritten es für manchen sein mag, Teil der Erlöserkirche.
Es ranken sich verschiedene Geschichten um dieses Gemälde. Verschiedene Menschen berichten aus ihrer Erinnerung. Auf diese Weise sollen Aspekte dieses Kunstwerks erklärt und nähergebracht werden.
Beginnen wir mit dem Ulmer Künstler Günther Späth (* 30. März 1921 / + 11. Mai 1991). Als Zwanzigjähriger verliert er im 2. Weltkrieg seinen linken Arm. Gezeichnet vom Krieg, kommt er aus der Kriegsgefangenschaft zurück und trifft in Reutti den Künstler Adolf Kleemann, der dort gerade das Fresko „Bergpredigt” malt. Kleemann, ein bibelfester Christ, lässt sich von den biblischen Geschichten inspirieren und setzt sie in Szene.
Der Austausch mit ihm, auch über theologische Themen, hat vermutlich Günther Späth geprägt. So erzählt man sich, dass Kleemann von einem jungen Theologen begeistert war, der während des Dritten Reiches mutig predigte. Dieser verkündete, dass die christliche Gemeinde, trotz aller Bedrängnisse der Zeit, weiterwachsen werde. Jesus sei das Bindeglied, zwischen diesseitiger und jenseitiger Gemeinde.
Mitte der fünfziger Jahre trifft Günther Späth ein schweres Schicksal. Sein Sohn Martin ertrinkt in der Iller. Man sagt, deshalb sei die Christusfigur in der Mitte des Altarbildes so ungewöhnlich und eindrücklich gestaltet.
Günther Späth bezog einzelne Szenen seines Werkes auf bestimmte Bibelstellen in der Offenbarung des Johannes. Sie werden hier vorgestellt und ergänzt.
Im Zentrum: Christus der Erlöser
Und ich sah, und ich hörte eine Stimme vieler Engel um den Thron und um die Gestalten und um die Ältesten her, und ihre Zahl war vieltausendmal tausend; die sprachen mit großer Stimme: Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob. Und jedes Geschöpf, das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles, was darin ist, hörte ich sagen:
Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Und die vier Gestalten sprachen: Amen! Und die Ältesten fielen nieder und beteten an. (Offenbarung 5, 11-14)
Die Christusfigur steht im Mittelpunkt des Bildes. Deutlich sieht man die Wundmale seiner Kreuzigung. Bemerkenswert sind Gesicht und Kopf Christi. Manch ein Betrachter nimmt vor allem die Augen als besonders eindrücklich wahr.
Günther Späth schreibt selbst über die Christusfigur: „Er hatte keine Gestalt noch Schöne; wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte (Jesaja 53,2b).
Vielleicht ist das der Grund, dass viele an der Gestalt des Christus, so wie sie dargestellt ist, Anstoß nehmen. [Aber] Christus hat den Tod überwunden. Er war wirklich tot. Für mich ist es wichtig, dass man die Spuren des Todes noch sieht.”
Auf der linken Seite: Menschen der sichtbaren Welt
Danach sah ich, und siehe, eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, und riefen mit großer Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und dem Lamm!
Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Gestalten und fielen nieder vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an und sprachen: Amen, Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Und einer der Ältesten fing an und sprach zu mir: Wer sind diese, die mit den weißen Kleidern angetan sind, und woher sind sie gekommen? Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind’s, die gekommen sind aus der großen Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes.
Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen. Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze; denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen des lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. (Offenbarung 7, 9-17)
Auf der rechten Seite: Menschen der unsichtbaren Welt
Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. (Offenbarung 21, 3-4)
Die beiden Menschengruppen werden durch ein rostrotes Band verbunden. „Das Blut Jesu verbindet diese Welt mit der unsichtbaren Welt Gottes.” (Günther Späth)
Hier vermutet man eine Verbindung zur theologischen Auseinandersetzung mit Adolf Kleemann, der Jesus als Bindeglied zwischen diesseitiger und jenseitiger Welt angedeutet hat.
Oben in der Mitte: Hand Gottes
Günther Späth hat zu diesem Detail keine weiteren Angaben gemacht. Die drei ausgestreckten Finger, Daumen, Zeige- und Mittelfinger, deuten auf die Dreieinigkeit Gottes hin – Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Ebenso kann man diese Hand Gottes, von oben her kommenden, mit der Taufe Jesu am Jordan in Verbindung bringen. „Und es geschah eine Stimme vom Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.” (Markus 1, 11)
Oben links: Engel mit Orantengebärde
Vier verschiedene Engel sind im oberen Bereich des Altarbildes dargestellt. Der Engel in der Gebetshaltung (Orantengebärde) steht ganz oben, in einen leuchtenden Gelbton gehüllt.
Er hebt die Hände nach oben. Es ist eine empfangende Haltung. Im Gottesdienst nehmen Liturgen diese Haltung ein, wenn sie als Vorsteher der Liturgie ein Gebet sprechen.
Das aufrechte Stehen unterscheidet den Menschen vom Tier und verweist auf die Auferstehung von den Toten; mit den ausgebreiteten Armen werden das Kreuz und der gekreuzigte Christus angedeutet.
Mitte links: Engel mit der Dornenkrone
Der Engel trägt ein Symbol der Leidensgeschichte Christi: die Dornenkrone. „Und sie zogen ihm einen Purpurmantel an und flochten eine Dornenkrone und setzten sie ihm auf.” (Markus 15, 17) Mantel und Krone sind Zeichen einer besonderen Königswürde.
Jesus wird damit gekleidet, doch die eigentliche Bedeutung der Kleider wird durch die Verspottung ins Gegenteil gekehrt.
Die Dornenkrone ist seither ein Symbol für Gottes Leiden an unserer Welt. Über tausend Jahre lang hat sich das Christentum gescheut, den Gottessohn mit der Dornenkrone darzustellen.
Oben rechts: Engel mit Messstab
Und der mit mir redete, hatte einen Messstab, ein goldenes Rohr, um die Stadt zu messen und ihre Tore und ihre Mauer. (Offenbarung 21, 15f.)
Die beiden vorhin beschriebenen Engel befinden sich auf der Seite der gegenwärtigen Welt. Gebet (Orantengebärde) und Leiden in der Welt (Dornenkrone) sind Merkmale dieser Zeit.
Der Engel mit dem Maßstab deutet auf die jenseitige Welt hin. Er misst die Stadt aus, um zu zeigen, dass alles in ihr dem göttlichen Plan folgt. Es ist ein vollkommenes, erhabenes Ganzes.
Mitte rechts: Engel mit der Ehrenkrone
Hält der Engel auf der Seite der sichtbaren Welt noch die Dornenkrone in der Hand, so weicht diese nun der Ehrenkrone. Das Leid in der Welt ist überwunden. Die neue, die erlöste Welt ist angebrochen. Hier tritt Christus auf als der König in Gottes Reich.
Günther Späth war ein religiöser Mensch. Durch sein Kunstwerk nahm er die Spannung auf, in der sich Glaube und Realität der Welt befinden. Eine Spannung, der Menschen tagtäglich begegnen. Für Späth taugte Religion nicht zum Wohlfühlen. Vielmehr waren ihm Auseinandersetzung und genaues Hinschauen wichtig. Sein Werk in der Erlöserkirche fordert den Betrachter heraus, sich in Beziehung zu setzen, genau hinzuschauen und sich zu positionieren.
Damit kann etwas in Bewegung kommen im persönlichen Glauben und in der eigenen Frömmigkeit. Die Fragen nach der Erlösung, nach der unsichtbaren Welt und nach dem Leben nach dem Tod stehen im Raum. Was bedeutet das für jeden Einzelnen?
„Die durch das Blut Christi rein gewaschenen stehen vor seinem Thron”, so nennt Günther Späth sein Werk. Für ihn ist Christus der Erlöser der Welt. Es ist eine hoffnungsvolle Botschaft, für die nun seit 50 Jahren die Erlöserkirche steht.
Wolfgang Böhm (für die Chronik der Erlöserkirche)