Vernissage zu „Kunst begann am Felsen“
Am 19. Juli fand am Freitag des Schwörwochenendes die sehr gut besuchte Vernissage zu Kunst begann am Felsen statt.
Die einführenden Worte in das Thema Felsmalerei kamen von Dr. Martin Miersch, einem Kunsthistoriker.
Danach ertönten diverse Klangschalen und Bruno Molinari entführte die Zuhörerinnen und Zuhörer mit einer Fantasiereise in die Zeit der Felsmalerei.
Im Anschluss war reichlich Zeit miteinander und über die Aquarelle ins Gespräch zu kommen.
Die Ausstellung ist bis zum 15. September täglich von 9-16 Uhr in der offenen Petruskirche zu besichtigen. Ein Gästebuch liegt auf.
Jean-Pierre Barraud / Bilder Karin Thomas Martin
Die geheimnisvolle Welt der Felsenmalerei
(Rede zur Ausstellung)
In dieser Ausstellung zeigen wir 55 Aquarelle, die der Künstler Horst Ostertag nach prähistorischen Felsbildern verschiedener Kulturen geschaffen hat. Dabei stellte sich ihm stets aufs Neue die Schwierigkeit, den Charakter eines Felsbildes einzufangen und in ein völlig anderes künstlerisches Medium zu übertragen. Die Archäologen unterscheiden Felsmalereien von Höhlenmalereien und sogenannten Petroglyphen, als in den Fels eingeritzten Bildern. Doch diese Unterscheidung soll uns hier nicht weiter kümmern. Es geht hier nicht um wissenschaftliche Klassifikation, um Datierungsfragen oder Pigmentanalyse. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Faszination für die prähistorische Kunst mit ihren prägnanten Stilisierungen und ihren schwer entschlüsselbaren Codes und Symbolen. Felsmalereien sind ohne Eintiefung mit Farbe auf die Felsoberflächen gemalte Bilder. Durch ihre Lage auf frei liegenden Felsflächen unterscheiden sie sich von der Höhlenmalerei. Gemalt wurde mit Pigmentfarben, vor allem rotem, gelbem oder braunem Ocker, Rötel oder einer Mischung aus beiden Mineralstoffen. Schwarze Farbaufträge sind meist mit Holzkohle hergestellt, wodurch mittels Radiokohlenstoffdatierung eine direkte Altersbestimmung möglich ist, seltener aus Mangandioxid. Wegen der häufigen Niederschläge wurden Felsbilder in Mittel- und Nordeuropa oft als Petroglyphen aufgebracht, wie die skandinavischen Felsbilder der nordischen Bronzezeit.
Die afrikanischen Felsbilder wurden erstmals durch den deutschen Ethnologen und Forschungsreisenden Leo Frobenius (1873-1938) erschlossen. Aufgrund seiner Forschungen zur afrikanischen Geschichte wird er noch heute in vielen afrikanischen Staaten geschätzt. Er beeinflusste insbesondere den afrikanischen Politiker Léopold Sédar Senghor, der einmal von ihm schrieb, er habe „Afrika seine Würde und seine Identität wiedergegeben“. Frobenius sah die afrikanische Kultur der europäischen als gleichwertig an, was für einen Gelehrten seiner Zeit ungewöhnlich war. Auf ihn geht auch eine umfangreiche Sammlung von ca. 4700 Kopien prähistorischer afrikanischer Felsbilder zurück, die sich heute im Frankfurter Frobenius-Institut befindet. Horst Ostertag ließ sich von diesem reichhaltigen Fundus inspirieren.
Erhalten wir durch diese Bilder Einblicke in die Vorstellungswelt unserer Vorfahren? Da muss man vorsichtig sein. Zahlreiche Malereien und Ritzungen sind gewiss auch während der Durchführung von Ritualen entstanden – dies ergibt sich allein schon aus der Besonderheit mancher Fundorte und aus der großen Anzahl der Bilder. Die Felsritzungen in Alta (Nordnorwegen) zum Beispiel bedecken ein Areal von mehreren tausend Quadratmetern. Die ältesten Gravuren dort entstanden vor mehr als 6000 Jahren; die jüngsten sind etwa 2500 Jahre alt. Etwa 200 Generationen haben also an dieser Stelle Figuren und Szenen in den Fels geritzt.
Die ältesten bekannten Felsmalereien entstanden vor ungefähr 30000 Jahren, in einer Zeit, als der moderne Mensch den Neandertaler in Europa verdrängte. Die künstlerische Tätigkeit kam also relativ spät in der Entwicklung des Menschen auf. Der Neandertaler und andere Frühmenschen haben sicherlich ebenfalls über hoch entwickelte geistige, soziale und handwerkliche Fähigkeiten verfügt. Das symbolische und kreative Denken, wie es für die darstellende und abstrakte Kunst erforderlich ist, scheint aber ein Merkmal des modernen Menschen, des Homo sapiens sapiens, zu sein.
Der Künstler als Interpret anonymer prähistorischer Bilderfindungen
Horst Ostertag beschreibt in seinem Buch “Kunst begann am Fels” wie er zur Beschäftigung mit dieser sehr alten, oftmals prähistorischen Kunst kam: "Vor vielen Jahren bin ich durch Zufall auf eine Dokumentation über Afrikanische Felskunst gestoßen. Diese Abhandlung mit den darin enthaltenen Abbildungen hat mich tief berührt. Bei Besuchen in Nordamerika konnte ich dann auch an mehreren Stellen Felskunst im Original betrachten. Langsam entwickelte sich der Gedanke einen Zyklus zu erstellen mit Felskunst, die mich persönlich beeindruckt haben. Fels- und Höhlenmalereien wurden praktisch auf allen Kontinenten gefunden. Man geht heute davon aus, dass die ältesten Darstellungen vor über 60.000 Jahren entstanden sind. In diesem Zyklus habe ich versucht sowohl die anonymen Künstler als auch die Wissenschaftler, der diese Darstellungen ausfindig gemacht haben, zu würdigen und sie einem nicht fachorientierten Publikum aufzuzeigen.” Seine Herangehensweise ist von Respekt und Faszination, ja sogar von Ehrfurcht vor den Leistungen der unbekannten prähistorischen Künstler geprägt. Besonders fasziniert ihn das große Spektrum der erhaltenen Felsmalereien von starker Abstraktion, wie sie vor allem für die Subsahara-Region kennzeichnend ist, bis hin zu höchst realistischer, detaillierter Wiedergabe der Natur, wie sie vor allem für die steinzeitlichen Höhlenmalereien in Nordspanien und Südfrankreich typisch ist.
Ostertag war nach dem Studium der Nachrichtentechnik in Konstanz als Ingenieur und Projektmanager tätig und begann sich ab 2001 zudem künstlerisch zu betätigen. Zunächst entstanden Reiseskizzen und Landschaftsaquarelle und 2020-24 dann der hier erstmals ausgestellte Zyklus “Kunst begann am Fels”. Sein Ziel ist es, die ganze Spannbreite der Felsmalerei von den stark abstrahierten Bildern der Subsahara-Region bis hin zu den oft erstaunlich realistisch ausfallenden Höhlenmalereien in Südfrankreich vorzustellen.
Umsetzung der Vorbilder in ein neues Medium
Problem: Malgrund und Farben sind vollkommen anders.
Um diesem Problem zu begegnen, unternahm Ostertag Experimente mit Hintergründen aus Moorlauge und Kohle. Das Glitzern einiger Gesteinsarten versucht er durch zermahlenen Magnetit nachzuahmen, der einen hohen Eisenanteil besitzt.
Die in den Südstaaten der USA populäre Legende von Kokopelli lernt Ostertag bei seinen Reisen in New Mexiko kennen. Kokopelli ist die Bezeichnung für ein religiöses Symbol, das in Form von Felsbildern verschiedener prähistorischer Indianer-Völker im Südwesten der Vereinigten Staaten überliefert ist. Diese menschenähnliche Figur ist als Flötenspieler, häufig mit einem Buckel und in der Regel mit einem ausgeprägten Phallus, dargestellt. Kokopelli gilt als Fruchtbarkeitsgottheit und wird häufig zusammen mit anderen Symbolen abgebildet, die im Zusammenhang mit Fruchtbarkeit von Ackerboden, jagbarem Wild und menschlicher Sexualität stehen.
Der Name Kokopelli stammt vom Hopi-Geist Kookopölö (einem der Kachina-Geister), der für Fruchtbarkeit von Menschen und Feldfrüchten steht. Heute gilt Kokopelli im Südwesten der Vereinigten Staaten als universelles Symbol für die Region und ihre Kultur und wird tausendfach in der Werbung abgebildet. Die Übertragung des Namens des Hopi-Kachinas auf den prähistorischen Flötenspieler erfolgte schon seit den 1930er Jahren und galt in den 1960er Jahren unter Ethnographen als etabliert. Die prähistorischen Felsbilder des buckligen Flötenspielers stammen aus der Zeit zwischen 4000 und 500 v. Chr. und treten in vielfältiger Weise auf: Einzeln oder in Gruppen, zusammen mit geometrischen Formen, mit Tieren und mit Menschenfiguren und mit verschiedenen Attributen. Das gemeinsame Thema der Darstellungen ist Fruchtbarkeit.
Adoranten
“Gottesanbeterinnen” Namibia, 1929, Frobenius Institut
Tableau an der Kanzel
Adoranten oder Beterfiguren nennt man Figuren früher Kulturen, deren besonderes Kennzeichen ausgebreitete Arme sind. Für prähistorische Darstellungen ist diese Deutung jedoch umstritten. Was wohl für die Antike eindeutig interpretierbar ist, kann für die prähistorische Kunst nicht als gesichert angesehen werden. Beten die Dargestellten? Handelt es sich möglicherweise um schwangere Frauen? Ist die Assoziation zum Insekt, das scheinbar eine betende Körperhaltung einnimmt, gewollt?
Tanz
Sechzehn Tänzer, Südwestafrika - Der Tanz erzeugt ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Es tanzen entweder nur Männer zusammen oder nur Frauen und zwar indem sie sich gegenseitig an den Schultern packen. Der Tanz ist Ausdruck eines starken Gruppengefühls und nicht eines individuellen Tanzstils. Das Kollektiv, die Sippe gibt Sicherheit und Geborgenheit.
Pferd aus Lascaux
Gejagt wurde mit Speeren. Die Jagd der Steinzeitmenschen auf Pferden kann mit der Jagd der Indigenen in Südafrika verglichen werden. Die Angehörigen der San etwa praktizieren die Ausdauerjagd, indem sie das Tier studieren, sich einfühlen und dadurch den Jagderfolg erhöhen.
Lascaux, Dordogne, Frankreich. Wegen Pilzbefalls wurde die Höhle 1963 für den Publikumsverkehr geschlossen. Es existieren aber 4 Nachbauten, die an verschiedenen Orten der Welt zu sehen waren.
Datierung: ca. 20.000 oder gar 30.000 Jahre vor Christus, Die Höhle wurde 1940 von vier Jugendlichen entdeckt und in den 50er und 60er Jahren von dem französischen Prähistoriker André Glory erforscht.
Löwenköpfe
Chauvet-Höhle, Ardèche-Tal (13) menschliche Fußspuren, Die Höhle wurde 1994 von zwei französischen Höhlenforschern entdeckt. Wollnashörner, Höhlenlöwen, Mammuts, Wildpferde, Höhlenbären, Höhlenhyänen, Rentiere, Bisons, Wisente, Auerochsen, Steinböcke, Riesenhirsche, Hirsche, Panther
Sie ist seit ihrer Entdeckung für die Öffentlichkeit nicht zugänglich und die Malereien sind daher in einem sehr guten Zustand. Film von Werner Herzog. Seit 2014 Weltkulturerbe der UNESCO. Alter: ca. 30.000 Jahre.
Rind Röntgenstil (41, Ecke rechts)
Hati Thol, Indien, im Bauch: Elefant
Maskierte Jäger 03
Die Vorlage für dieses eindrucksvolle Felsbild befindet sich im Tassili N’aijer Nationalpark in Algerien. Die ca. 10000 Jahre alten Felsmalereien zählen seit 1982 zum Unesco-Weltkulturerbe. Dargestellt sind unter anderem Elefanten, Giraffen und Krokodile, und Rinderhirten. Neben der künstlerischen Qualität der Darstellungen ist bemerkenswert, dass diese auch den Klimawandel in der Region widerspiegeln. Damals war das lokale Klima viel feuchter und eher savannenartig als wüstenartig. Für uns sticht natürlich vor allem die Nähe zum steinzeitlichen Löwenmenschen ins Auge.
Analogien
Seit Ende des 17. Jahrhunderts gibt es detaillierte Berichte über die Schamanen Sibiriens und ihre Praktiken. Die Einstellung der Europäer dazu pendelte mehrmals zwischen Hochachtung und Verachtung hin und her. Anfangs riefen diese Berichte nur Abneigung und Unverständnis hervor. Zunächst wurden Schamanen als krankhaft psychotisch angesehen und ihre Ausdrucksformen als „arktische Hysterie“ bezeichnet. Später wurden Epilepsie oder Schizophrenie in Beziehung zum Schamanentum gesetzt. Doch bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die besondere gesellschaftliche Stellung des sibirischen Schamanen detailliert untersucht: Die Trancen, rituelle Ekstasen der Schamanen wurden als wohlinszenierte, kulturell codierte performative Konfliktlösungen erkannt. Claude Lévi-Strauss berichtet von Schamanen, die in Konkurrenz zu Stammesführern traten.
Der Schamane begibt sich zur Kontaktaufnahme mit dem Jenseits, den Geistern oder Ahnen in eine Trance. Trommel- und Tanzrituale können Hypnoseeffekte erzielen. Als Trancetechniken kommen u. a. infrage: „monastische Abgeschiedenheit, Fasten, Schlafentzug, Litaneien, Tanz mit dem Nebeneffekt der Hyperventilation, Drogen. 1968 gelangte Carlos Castanedas Buch “Die Lehren des Don Juan” Kultstatus, in dem der Erzähler angeblich von einem Schamanen unterwiesen wird. Doch 1976 konnte bewiesen werden, dass seine angebliche Lehre bei dem Yaqui-Schamanen Don Juan Matus schlichtweg erfunden war. Dennoch blieb die Faszination an seiner Arbeit bestehen, die als moderner Mythos exakt und meisterhaft die emotionalen und intellektuellen Bedürfnisse der Gesellschaft bedienten.
Prähistorischer Schamanismus
Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang eine steinzeitliche Höhlenmalerei in der Höhle Les trois frères mit jägerischem Kontext: Ein Mensch ist mit einem Tierfell bekleidet, seinen Kopf ziert ein Geweih. Ist hier der mythische „Herr der Tiere“ gemeint oder ein Schamane?
Durch Drogenkonsum oder ekstatische Trance wird der Bewußtseinszustand verändert.
Als man im sogenannten „klassisch sibirischen Schamanismus“ drei Jahrtausende alte Felsbilder mit anthropomorphen Darstellungen entdeckte, die eine Art Geweihkrone tragen, gingen russische Forscher davon aus, dass es bei diesen bis vor kurzem noch „ursprünglich“ lebenden Kulturen seit der Jungsteinzeit kontinuierlich Schamanen gegeben haben muss. Allerdings erklärten andere Forscher diese Darstellungen für jünger und verwiesen auf den potentiellen Einfluss des Buddhismus. Es gibt jedoch weitere Felsbildzonen der Erde – etwa der Aborigines Australiens, der San Südafrikas, der kalifornischen Indianer sowie den Skythen zugeordnete archäologische Funde – die von einigen Forschern in Zusammenhang mit einem prähistorischen Schamanismus gesehen werden.
Wenngleich viele Fundstücke offensichtlich an schamanische Rituale erinnern – so der Vogel und der Vogelschnabel des Menschen auf der berühmten Höhlenmalerei von Lascaux und die Art der Tötung des Bison an seiner „Lebenslinie“ von Anus zum Penis –, sind prinzipiell auch andere Interpretationen möglich. Dass der Frühmensch religiöse Vorstellungen künstlerisch ausgedrückt hat, ist unbestritten, worum es sich dabei jedoch jeweils genau handelt, wird aufgrund der fragmentarischen Fundlage immer rätselhaft bleiben.
Fazit
Der Zyklus “Kunst begann am Fels” kann und soll als Verneigung vor den anonym bleibenden Ureinwohnern gesehen werden, die die jeweiligen Urbilder geschaffen haben. Zahlreiche Themen lassen sich unterscheiden: Tanz, Jagd, Sexualität, Geburt, Musik und möglicherweise auch religiöse Handlungen.
In diesem Zyklus hat sich Horst Ostertag was das Ausleben eigener künstlerischer Phantasien angeht, äußerst zurückgenommen und sich vielmehr zum Sprachrohr der prähistorischen Künstlerinnen und Künstler gemacht, und zwar durch bloße Einfühlung, ohne deren genaue Ziele und Vorstellungen zu kennen. Sämtliche Bilder sind unsigniert, denn Ostertag versteht sie als Hommage an die unbekannten Künstler der Vorbilder.
Sein Ziel ist es, etwas von seiner Faszination für die Felskunst auf uns zu übertragen. Dies ist ihm, denke ich, in einzigartiger Weise gelungen.
Copyright Dr. Martin Miersch